Wie werde ich ein Experte?

Wie werde ich ein Experte?

FRAGE: In einer Studie über den Arbeitsmarkt der Zukunft habe ich gelesen, dass Fachspeziallisten eine gute Zukunftsperspektive vorhergesagt wird. Ich bin neu in meinem Fachgebiet und frage mich nun, wie ich in diesem zu einem Experten werde? 

ANTWORT. William G. Chase ein Experte für Expertise hat das Wesen der Expertise in zwei Sätzen zusammengefasst: „No pain, no gain“ und „When the going gets tough, the tough get going“. Um ein Experte zu werden braucht es demnach Fleiss, Selbstdisziplin und Motivation. Niemand entwickelt Expertise, ohne ein hohes Mass an harter Arbeit auf sich zu nehmen. John R. Hayes kam in seinen Untersuchungen über Genies zum Schluss, dass es für einen herausragenden Leistungsstand in Sport, Wissenschaft oder Kunst mindestens zehn Jahre Übung braucht.

ÜBUNG MACHT DEM MEISTER. Sicher, auch Talent ist wichtig. Noch wichtiger sind jedoch das frühe Erkennen des Talents und dessen gezielte Förderung. Wissenschaftlichen Studien zufolge besteht das Genie aus 90% Transpiration (Anstrengung) und zu zehn Prozent aus Inspiration. Von zentraler Bedeutung ist das zielgerichtete (bereichsspezifische) Üben: Lernende sollen auf dem Gebiet motiviert werden etwas zu lernen, das ihnen Spass bereitet und sie Talent besitzen. Externes Feedback hilft, die eigene Leistung zu bewerten, Defizite zu erkennen und gezielt zu beheben. Extensives Üben führt zu einem Nervenwachstum im Gehirn – auch bei Erwachsenen (!) – und damit zu einer Steigerung der Verarbeitungskapazität und -geschwindigkeit.

WIE WERDE ICH EXPERTE? Im Allgemeinen werden drei Phasen unterschieden: In der kognitiven Phase (Novize) werden Faktenwissen (knowing that) und Wissen über Abläufe (knowing how) bewusst eingeprägt und abgerufen. Beim Autofahren zum Beispiel, in dem wir leise repetieren, wie Kupplung und Gas geben zusammenhängen. In der assoziativen Phase werden bei der Ausführung einer Tätigkeit Fehler erkannt und eliminiert und die Elemente, die für eine erfolgreiche Tätigkeit erforderlich sind immer stärker miteinander verbunden (Gas, Kupplung). Wissen wächst und wird verdichtet, die Ausführung fällt immer leichter. In der autonomen Phase (Experte) wird ein sehr hoher Automatisierungsgrad erreicht. Wir benötigen immer weniger geistige Verarbeitungsressourcen, weil enormes Wissen und Können im Gedächtnis gespeichert und abrufbar ist. Experten kennzeichnet, dass sie ein ausgeprägtes Erinnerungsvermögen für Informationen auf ihrem Gebiet besitzen. Schachexperten zum Beispiel erinnern Schachpositionen signifikant besser als Novizen, weil sie ganze Spielabläufe abspeichern und nach Bedarf abrufen (Erfahrungswissen) können. Simon und Gilmartin (1973) schätzen, dass Schachmeister bis zu 50‘000 verschiedene Schachmuster gelernt haben. Für Anfänger sind viele Schachstellungen erstmals neu und müssen als solche erst abgespeichert werden. Mit zunehmender Erfahrung können auch sie problembezogene bzw. domänenbezogene Informationen im Langzeitgedächtnis speichern und gezielt abrufen: Wissen wird immer mehr verdichtet und der Zugang zu komplexen Wissensstrukturen beschleunigt.

FAZIT. Um Expertenstatus zu erreichen brauchen Sie ein Fachgebiet, welches für Sie von hohem Interesse ist sowie eine langjährige (10-15 Jahre), ausdauernde und intensive Auseinandersetzung mit diesem. Je früher Sie damit beginnen, umso erfolgreicher können Sie auf dem Gebiet werden. Ihr Wissen und Können sollten Sie gezielt durch Übung und Anwendung vertiefen, und via Feedbackprozesse erkennen, wo Defizite bestehen. Durchhaltewillen und Selbstmotivation sind sehr zentral, da der Lernzuwachs mit der Zeit abnimmt.

Michael F. Gschwind, Psychologe FSP, unterstützt als Laufbahnberater und Coach Personen in beruflichen Veränderungsprozessen. www.mfgschwind.ch